Die Regenerative Genossenschaft ist eine Unternehmensform, die speziell für lebensdienliches Wirtschaften ausgelegt ist. Darin werden zwei Hemisphären verbunden, die bislang in der Wirtschaft nie an einem Punkt zusammen kamen: Die Verpflichtung zur Rentabilität auf Augenhöhe mit der Verpflichtung zur Schonung und Regeneration von Mensch und Natur. Bislang wird diese Unternehmensform vor allen für zwei Anwendungsperspektiven weiter entwickelt und in die Praxis gebracht:
Die Form der regenerativen Genossenschaft eignet sich, um in Nachbarschaften und Regionen vielfältige Versorgungs- und Gemeinschaftsstrukturen aus Bürgerhand zu finanzieren, zu entwickeln und zu betreiben. Weil Subtanz und Versorgungssicherheit von Anfang an den Menschen vor Ort gehören, bilden sich so starke, regenerative Wirtschaftskreisläufe vor Ort.
Die Regenerative Genossenschaft ist auch eine Rechtsform für Unternehmen, die sich einem werteorientierten Zweck verpflichten wollen, ohne dass die effektive Lebensdienlichkeit von der momentanen Laune der Geschäftsführung und der Anteilseigner abhängt. Die Regenerative Genossenschaft erlaubt es, Lebensdienlichkeit und Regeneration verbindlich in ein Geschäftsmodell zu integrieren, so dass der definierte Zweck des Unternehmens gewichtiger ist, als kapitale Einzelinteressen.
Wie gestaltet man ein Wirtschaftsunternehmen so, dass ein lebensdienliches Wirtschaften möglichst garantiert ist? Als Antwort auf diese Fragestellung ist diese modifizierte Form der Genossenschaft entstanden. Ausgehend von einem Geschäftsbetrieb können mit dieser Unternehmensform Wertschöpfungskreisläufe lebensdienlich gestaltet und verbindlich verankert werden.
Die grundlegende Mechanik bislang geläufiger Unternehmensformen (z.B. GmbH oder AG) fördert primär der Maximierung der Gewinnentnahme. Im Sinne des bisherigen Paradigmas „Die Wirtschaft kümmert sich um die Gewinne und die Politik bzw. Nonprofits um die Regeneration“ war das auch passend. Die Eigentumsverhältnisse, Stimmrechte und die Pflichten der Geschäftsleitung in den traditionellen Unternehmensformen wurden auf diesen Zweck hin optimiert. Eine Verpflichtung zu synergetischem und regenerativem Wirtschaften war auf Unternehmensebene niemals vorgesehen. Doch solche Verpflichtungen auf Unternehmensebene werden jetzt essenziell.
In der Form einer regenerativen Genossenschaft kann ein Unternehmen nun Regeneration und Lebensdienlichkeit als festen Teil seines Wertschöpfungsauftrags festlegen. Denn neben dem Gesetz der Rentabilität gilt in einer solchen Genossenschaft ebenso das Gesetz der Regeneration. Die Einhaltung dieser individuell gestalteten betriebseigenen Gesetze kann von den Genossenschaftsmitgliedern im Fall der Fälle eingefordert werden, sollte die Geschäftsführung einmal nicht mehr satzungsgemäß handeln.
So wie Geschäftsführer von Aktiengesellschaften von ihren Aktionären verklagt werden können wenn sie zu wenig Profit machen, so haben die Mitglieder einer regenerativen Genossenschaft das letzte Wort wenn es um die Einhaltung der satzungsgemäßen Regenerationsziele des Unternehmens geht.
Das ist ein grundlegender Unterschied zu geläufigen Unternehmensformen, in denen zwar lebensdienliche Geschäftspraktiken beschlossen werden können, jedoch bestehende oder neue Anteilseigner die Gesetze des Unternehmens jederzeit beliebig umschreiben können. Ein Zwang besteht in geläufigen Unternehmensformen letztlich nur zum Profit. Eine Verpflichtung zu Regeneration und Synergie existiert in den alten Rechtsformen nicht und lässt sich auch nicht wirksam nachrüsten.
Ein vereinfachtes Beispiel: Eine große Gewächshausanlage zur Gemüseproduktion ist auf hoch effiziente Herstellung von vielen Tonnen hochwertigem Gemüse ausgelegt. 20 Mitarbeiter und ein Verwaltungsteam betreiben diese Anlage. Verkauft wird die Ware hauptsächlich an Supermärkte, teilweise Bio. Dank effizenter Arbeitsabläufe verbleibt nach Abzug aller Kosten ein Jahresüberschuss von 100.000 EUR. In einer klassischen GmbH könnte es z.B. zwei Eigentümer geben, die jeweils 50% am Unternehmen halten. Diese Eigentümer können nun entscheiden sich diese Überschüsse auszuzahlen oder ins Wachstum des Betriebs zu investieren. Vielleicht geben Sie einen Teil ihres Gewinns an eine Stiftung oder sie sponsern einen lokalen Verein, vielleicht aber auch nicht – das steht ihnen selbstverständlich frei. Wenn die Eigentümer ihre Anteile an einen Investor verkaufen wird dieser Investor die Rentabilität erhöhen wollen, um mehr aus dem Betrieb heraus zu holen. Dazu wird beispielsweise Personal abgebaut, sowie günstigerer Dünger und günstigeres Saatgut eingekauft. Die Qualität der Produkte für die Kunden sinkt, die Dienlichkeit für die Mitarbeiter sinkt und die Gewinne steigen wie gewünscht an.
Wird das Unternehmen stattdessen von einer Gruppe von Bürgern aus der Region gekauft und in eine regenerative Genossenschaft umgewandelt, dann wird aus dieser Gewächshausanlage ein Geschäftsbetrieb, der nicht nur der Rentabilität verpflichtet ist, sondern auch der Regeneration und Synergie mit seinem Umfeld. Die regenerative Satzung der Gewächshausgenossenschaft definiert z.B. neben der Erzeugung von hochwertigem Gemüse auch die Dienlichkeit für Natur und Gesellschaft im Umfeld als verbindlichen Geschäftszweck. Die Gruppe der Bürger hat das nötige Kapital als Genossenschaftsanteile eingelegt und erwartet dafür eine kleine Rendite von maximal 5% pro Jahr. Sie haben ihr Geld hier angelegt, weil sie wissen, dass im Sinne der regenerativen Satzung hier ein Geschäftsbetrieb entsteht, der sich regenerierend und synergetisch verhalten wird und der die lokale Nahrungsmittelversorgung sichert.
Im ersten Schritt wird entsprechend der neuen Satzung vom Betriebsteam ein Direktvermarktungskonzept erarbeitet, das mit Gemüsekisten-Abos und regionalen Verkaufsstellen arbeitet. Jeder regionale Kunde kann Genossenschaftsmitglied werden und wird damit Anteilseigner und je nach Wunsch auch Kapitalgeber dieses Betriebs. Dank der Direktvermarktung können die Erträge für den Betrieb erhöht und die Preise für den Endkunden gesenkt werden.
Durch die lebensdienliche Verpflichtung in der Satzung findet das auch tatsächlich statt und die gewonnenen Überschüsse fließen nicht nach außen ab. Es gibt keine alleinigen Eigentümer des Betriebs mehr, die diese Regelungen für eine gesteigerte Gewinnentnahme außer Kraft setzen könnten. Da die meisten Anteilseigner Kunden sind, die verlässlich mit gutem Gemüse beliefert werden wollen verhält sich das Unternehmen garantiert kundenorientiert und lebensdienlich. Sollte das Betriebsteam in einer Weise handeln, die dieser Verpflichtung entgegen laufen kann eine Mitgliederversammlung dieses Handeln im Zweifelsfall unterbinden und die Rückkehr zur satzungsgemäßen Führung des Unternehmens erwirken.
Da jedes Mitglied nur eine Stimme hat – egal wie viel Kapital es eingelegt hat, kann auch kein Investor mit größeren Geldsummen größere Stimmrechte erkaufen. Die lebensdienliche Ausrichtung ist fest verankert und kann weder durch das Betriebsteam, noch durch Kapitalgeber aufgelöst werden. Nur die Mitglieder, also die regionalen Kunden könnten mit einer großen Mehrheit dafür sorgen, die Lebensdienlichkeit abzuschaffen. Doch warum sollten sie das tun? Schließlich profitieren sie am meisten von einer optimalen Balance aus Produktqualität, niedrigem Preis und lokalen Regenerationsleistungen dieses Unternehmens.
Um Organisationen mit Geschäftsbetrieb regenerativ zu gestalten eigenen sich vorhandene Unternehmensformen meist nicht.
Eine AG oder GmbH ließe sich zunächst auch mit regenerativen Aspekten im Gesellschaftervertrag ausstatten. Doch die langfristige Sicherung dieser regenerativen Regelungen ist nicht gegeben. Anteilseigner eines solchen Unternehmens besitzen die vollständigen Stimmrechte und können zugunsten des Profits jederzeit grundlegende Änderungen und Kurswechsel in der regenerativen Verpflichtung des Unternehmens vornehmen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Anteile verkauft werden, werden auch Stimmrechte verkauft. Ein bis eben noch sehr regeneratives Geschäft könnte schon morgen sein regeneratives Engagement einstellen wenn neue Käufer von ihrem erworbenen Stimmrecht Gebrauch machen und die Ausrichtung der Firma grundlegend ändern. Kunden, Partner oder lokale Gemeinschaften hätten keinerlei Einfluss auf solche Änderungen.
In einer Stiftung oder in einem Verein lassen sich zwar regenerative Verpflichtungen verlässlich verankern, doch ist es meist schwierig bis unmöglich einen gewinnorientierten Geschäftsbetrieb darin zu realisieren. Einfach gesagt dürfen Stiftungen und Vereine nur innerhalb sehr enger Grenzen Gewinne erzielen. Für Geschäftsbetriebe, die ihre Kunden mit Waren und/oder Dienstleistungen versorgen sind diese Vereine oder Stiftungen in den meisten Fällen ungeeignet.
Die Unternehmensform, die in ihrer Wirkung noch am nächsten an einer Regenerativen Genossenschaft gelegen ist, ist das klassische familiengeführte und werteorientierte Mittelstandsunternehmen. Hier gab und gibt es bis heute gewinnorientierte Geschäftsbetriebe, die ihrem selbst gesetzten ethischen Kodex verlässlich folgen und die sich im Rahmen ihrer Selbstverpflichtung nachhaltig engagieren. Der Garant für dieses lebensdienliche Verhalten des Geschäftsbetriebs liegt im persönlichen Ehrgefühl der Entscheider im Familienunternehmen. Solange sie familiengeführt bleiben ist die Chance hoch, dass die lebensdienliche Ausrichtung erhalten bleibt. Doch auch hier können Anteile und damit Stimmrechte grundsätzlich jederzeit verkauft werden und der Führungsstil vollkommen verändert werden.
Rein in der Wortbedeutung klingt „gemeinnützige GmbH“ wie genau das, was die regenerative Genossenschaft erreichen will. Doch die Regularien für die staatlich anerkannte Gemeinnützigkeit schränken ähnlich wie bei Stiftung und Verein den Geschäftsbetrieb in seiner Gewinnorientierung sehr weit ein.
Über Satzung und Geschäftsordnung lässt sich die regenerative Gewinnverwendung des Unternehmens verbindlich regeln. Z.B. könnte eine grundsätzliche Gewinnverwendung von mind. 5% für Ökosystem, mind. 5% für soziales Umfeld, mind. 5% für Mitarbeiter und mind. 5% für Rückvergütung an Mitglieder festgelegt werden werden. Jeweils höhere Anteile könnten dann individuell jedes Jahr in der Hauptversammlung anhand von konkreten Projekten und Vorschlägen per Abstimmung verteilt werden. Hier muss jedes Unternehmen nach seinen Möglichkeiten und Bedarfen für Investitionen und Rücklagen die Gewinnverwendung balancieren. Je mehr Gewinn das Unternemen macht, desto mehr Geld fließt in Regenerationsleistungen und Weiterentwicklung des Betriebs.
Die betrieblich ohnehin nötigen Abläufe sollen im Sinne der Mitarbeiter und Mitglieder, sowie im Sinne des ökologischen und sozialen Umfelds des Unternehmens möglichst so gestaltet werden, dass Synergien gefunden und genutzt werden. Dabei geht es nicht um Aktivitäten, die betriebliche Ressourcen verbrauchen und damit die Produktivität schmälern (solche lassen sich besser über die Gewinnverwendung regeln), sondern vor allem um Aktivitäten, die kaum Mehraufwand bedeuten, aber einen vielfachen Wert für das Gesamtsystem erzeugen. Über Satzung und Geschäftsordnung wird die Verpflichtung der Geschäftsleitung verankert und diese sorgt für die Umsetzung und das Reporting an die Mitgliederversammlung.
Inwiefern regenerative Wirkungen von Produkten oder Leistungen des Geschäftsbetriebs vorhanden sind oder hinzugefügt werden können ist von Fall zu Fall sehr verschieden. Wenn es sich um einen Betrieb handelt, der ein Produkt zur Bodenregeneration herstellt ist das sehr erfreulich und damit wirkt das Unternemen auch regenerativ über seine Produkte. Doch ist das nicht immer möglich.
Die genossenschaftliche Satzung ist das Grundgesetz des Unternehmens. Geschäftsführung und Betriebsteam sind dieser Satzung verpflichtet. Bei Gründung wird in der Satzung unter anderem der Geschäftszweck verbindlich definiert. Der übergreifende Geschäftszweck jeder Genossenschaft ist laut Genossenschaftsgesetz immer: Die Förderung der Mitglieder. Hier macht die regenerative Genossenschaft einen entscheidenden Unterschied zu klassischen Genossenschaft. Während die klassische Genossenschaft nur die wirtschaftliche Förderung vorsieht, erweitert die regenerative Genossenschaft diesen Förderzweck um Aspekte wie körperliche und geistige Gesundheit des Mitglieds, sowie Regeneration des ökologischen und sozialen Umfelds. Damit ist das Unternehmen grundsätzlich dem wirksamen Handeln in diese Richtung verpflichtet im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten und im Rahmen der näher benannten Aspekte in der jeweiligen Satzung.
Die ordentliche Mitgliederversammlung findet einmal pro Jahr statt. Hier werden die Mitglieder wie in einer Aktionärsversammlung über Geschäftsvorgänge informiert, es werden Fragen beantwortet und falls vorhanden Anträge zur Abstimmung gebracht.
Ein spezieller Mechanismus der Genossenschaft ist die genossenschaftliche Rückvergütung. Sie stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, den Kunden des Unternehmens, die gleichzeitig auch Mitglieder sind einen Anteil vom Jahresüberschuss im Verhältnis ihrer Umsätze zurück zu erstatten – und das steuerfrei. So partizipieren die Kunden des Unternehmens unmittelbar am Jahresergebnis.
Die genossenschaftliche Rückvergütung kann ein wesentlicher Mechanismus zur Preisbalancierung für die Kunden sein. Die Rückvergütung erlaubt es z.B. 10% des Jahresüberschusses an die Abnehmer im Verhältnis ihrer Jahresumsätze steuerfrei zurück fließen zu lassen. Das entspricht effektiv einer nachträglichen Preissenkung der Produkte für die Mitglieder. Überschüsse fließen nicht weg vom Unternehmen, sondern zurück in den umgebenden Kreislauf.
Ein ordentliche Mitglied hat bei Abstimmungen in der Versammlung jeweils eine Stimme. Ein sogenanntes investierendes Mitglied hat zwar volle Auskunftsberechtigung, jedoch keine Stimme in der Mitgliederversammlung. Das kann z.B. sinnvoll sein, um Stimmrechte nur an Mitglieder zu geben, die auch Kunden des Betriebs sind und nicht an reine Kapitalgeber, die keine Kunden sind. Was sinnvoller ist hängt immer vom einzelnen Betrieb ab.
Der Geschäftsbetrieb einer regenerativen Genossenschaft ist zunächst ein professioneller Betrieb wie jeder andere. Anfallende Aufgaben in Geschäftsführung, Verwaltung, Produktion und Service wollen kompetent erfüllt sein, damit die Kunden die Waren und/oder Leistungen zum richtigen Preis in der richtigen Qualität erhalten und Rentabilitätsziele erreicht werden. Dafür braucht es qualifiziertes Fachpersonal, wie in jedem Unternehmen. Die Geschäftsführung hat die Aufgabe den Betrieb im Sinne der Satzung und damit im Sinne aller Mitglieder zu führen. Satzung, Geschäftsordnung und Businessplan geben der Geschäftsführung und den anderen Angestellten im Normalfall 99% aller Informationen und Richtlinien, um den Betrieb über das Jahr ohne Abstimmungsnotwendigkeit mit der Mitgliederversammlung zu führen. Nur in Krisensituationen oder bei großen Veränderungen müssen Mitgliederversammlungen einberufen werden um Beschlüsse zu fassen, die die Geschäftsleitung nicht allein verantworten kann. Grundsätze der Transparenz werden durch den Aufsichtsrat und die jährliche Mitgliederversammlung gewahrt. Inwiefern besondere zusätzliche Partizipationsmöglichkeiten für Mitglieder bestehen kann in jedem Unternehmen individuell gestaltet werden.
Wer Mitglied wird, zeichnet mindestens einen Genossenschaftsanteil in Höhe von X EUR. Der Nennwert eines Anteils kann frei bestimmt werden. Er kann bei 1 EUR oder bei 1.000 EUR oder höher liegen. In der Konzeption des Geschäftsmodells muss hier im Sinne der Ziele abgewogen werden. Wenn die Schwelle so niedrig wie möglich liegen soll kann man sich für einen Nennwert von 1 EUR entscheiden. Wenn eine gewisse Eintritts-Schwelle im Sinne der Ernsthaftigkeit und des Engagements beim Mitglied gesetzt werden soll kann ein höherer Betrag sinnvoll sein.
Ein Anteil ist die Mindestvoraussetzung für eine Mitgliedschaft, doch ein Mitglied kann z.B. auch 10.000 Anteile in Höhe von 1 EUR erwerben und dem Unternehmen damit 10.000 EUR Eigenkapital zur Verfügung stellen um Investitionen tätigen zu können. Die Stimmrechte dieses Mitglieds erweitern sich dadurch nicht. Jedes Mitglied hat unabhängig von der Anzahl seiner Anteile nur eine Stimme (außer es handelt sich um ein sog. investierendes Mitglied, dann hat es keine Stimme).
Über Genossenschaftsanteile kann sich in vielen Fällen benötigtes Startkapital oder Wachstumskapital von Mitgliedern einsammeln lassen. Die in der Satzung definierten Kündigungsfristen von Anteilen erlauben dem Betrieb über Mindestlaufzeiten mit diesen Kapitaleinlagen zu kalkulieren. Ein üblicher Wert ist z.B. eine Mindestlaufzeit von 2 Jahren mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten. Das bedeutet eingelegtes Kapital muss zunächst gekündigt werden und wird dann 12 Monate später an das Mitglied ausgezahlt. Das wäre in diesem Beispiel frühestens nach 2 Jahren möglich.
Ob und in welcher Höhe eine Dividende für eingelegtes Kapital ausgezahlt wird hängt von der Konzeption der einzelnen Genossenschaft ab. Oft wird ein Zielbetrag von z.B. 3% pro Jahr angepeilt, letztlich entscheiden dann der tatsächliche Jahresüberschuss und die Mitgliederversammlung am Jahresende über die auszuzahlenden Beträge. Eine garantierte Dividende kann natürlich auch festgelegt werden wenn die Genossenschaft sich das leisten möchte.
Die Form der Regenerativen Genossenschaft ist grundsätzlich für so ziemlich jede Branche und jede Art Unternehmen denkbar. Besonders interessant und naheliegend ist sie zunächst in Bereichen der lokalen und regionalen Grundversorgung mit Energie, Wohnraum, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Mobilität und weiterem. Dabei lassen sich sowohl genossenschaftliche Konzepte für Einzelbetriebe als auch für Dorfgenossenschaften, Quartiersgenossenschaften oder Regionalentwicklungsgenossenschaften umsetzen, in denen mehrere Geschäftsbereiche synergetisch zusammengefasst werden.
Bürgerenergie, Lebensmittel, Mobilität, Pflege, Gastgewerbe und vieles mehr… In jedem Wirtschaftsbereich ist ein einzelner Geschäftsbetrieb als regenerative Genossenschaft denkbar. Ein professionelles Betreiberteam sorgt auf Grundlage der regenerativen Satzung für eine verlässliche Versorgung der Kunden. Die Menschen aus der Region und wirtschaftlichem Umfeld investieren als Mitglieder in diese Infrastruktur in ihrer Lebensumgebung. So werden Arbeitsplätze geschaffen, regionale Versorgungssicherheit aufgebaut, Kostenvorteile geteilt und Überschüsse regenerativ in der Region wirksam.
Oft finden sich Menschen aus einer Nachbarschaft auf dem Land oder in der Stadt zusammen und wollen gleich einen Strauß von Geschäftsbereichen für ihre Gemeinschaft implementieren. Wenn die Initiative z.B. ein Café, eine Imkerei, ein Seminarhaus, einige Wohneinheiten, eine KiTa und einen Gemüsegarten aufbauen wollen um ihre Nachbarschaft zukunftsfähig und enkeltauglich zu machen, dann können Regenerative Genossenschaften als Dach-Organisation für eine wachsende Zahl von lokalen Geschäftsbetrieben und deren Wertschöpfungskreislauf fungieren.
Manchmal ist die größere Synergieperspektive der eigentliche Auslöser für den Wunsch nach einer genossenschaftlichen Gründung. Fragen wie „Wie können wir als Gründerteam in unserer Region mit drei Landwirtschaftsbetrieben, einem Hotel, einer Schule und einem Pflegedienst die regionale Wertschöpfung selbst in die Hand nehmen und unsere Region entwickeln?“ treiben viele Gründer an. Eine Regenerative Genossenschaft zur Regionalentwicklung kann ein ideales Mittel sein, um Initiativen zu bündeln und (anders als in vielen Vereins-basierten Initiativen) wirklich in Wertschöpfung bringen, so dass Arbeitsplätze, Versorgungssicherheit und Wohlstand in Bürgerhand entstehen.
Das Urprinzip einer Genossenschaft basiert auf dem Gedanken, dass eine Bedarfsgemeinschaft sich zusammenschließt und ein professionelles Unternehmen gründet, um sich gemeinschaftlich und zu Selbstkosten mit ihrem Bedarfsgut zu versorgen. So entsteht ein Unternehmen, dessen Kunden gleichzeitig auch dessen Anteilseigner sind.
Dieses Urprinzip lässt sich letztlich auf jedes Unternehmen übertragen, das seine Kunden mit Waren oder Leistungen versorgt: Was wäre, wenn statt anonymen Kapitalgebern die Kunden des Unternehmens dessen stimmberechtigte Anteilseigner wären? Was wäre, wenn die Erwartung der Maximierung der Gewinnentnahme abgelöst würde durch eine Verpflichtung zur Regeneration und Synergie des Unternehmens mit Mensch und Natur seiner Umgebung?
Diese Idee wird zur Zeit nur wenige Menschen am globalen Kapitalmarkt begeistern, doch dezentral vor Ort in der eigenen Region und Nachbarschaft können diese neuen Wirtschaftsweisen bereits jetzt umgesetzt werden und ihren Soforteffekt entfalten. Das schönste daran ist: Im dezentralen regionalen Maßstab muss niemand auf die Initiative von Politik oder Konzernen warten. Engagierte Menschen können sich zusammenschließen und beginnen mehr zu tun als nur zu reden und zu wünschen. Sie können planen, finanzieren, gründen und erlebbare regenerative Wertschöpfung betreiben.
Die klassische Form der Genossenschaft wurde in den 1850er Jahren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen begründet und fand seitdem große Verbreitung in der ganzen Welt. Die Rechtsform der klassischen Genossenschaft ist heute noch besonders verbreitet im Bereich der Raiffeisen-Banken und der Landwirtschaft. In Deutschland existieren aktuell 8.000 Genossenschaften, deren Satzungen weitgehend in klassischer Weise auf die rein wirtschaftliche Förderung der Mitglieder ausgerichtet sind.
Die Grundidee der regenerativen Genossenschaft entstand nachdem Genossenschaftspionier Thomas Hann von 2019 bis 2021 an Forschungsarbeiten zu kommunaler Zukunftssicherung mit Bürgergenossenschaften beteiligt war.
In Zusammenarbeit mit einem Registergericht und einem Prüfungsverband brachte Thomas Hann 2020 erstmals eine Genossenschaft in Gründung, die neben der wirtschaftlichen Förderung auch die soziale und gesundheitliche Förderung der Mitglieder im Sinne einer Regionalentwicklung konkret in den Geschäftszweck integrierte. Er prägt seitdem den Begriff der Regenerativen Genossenschaft und entwickelte das Konzept gemeinsam mit Wirtschaftsprüfer Heribert Warken, Aaron Bolte und Genossenschaftsprüfer Gerd Schaumann weiter. Aktuell befinden sich über 25 Genossenschaften mit unterschiedlichen regenerativ gestalteten Satzungen in Gründung, einige haben bereits den Betrieb aufgenommen. Viele weitere Gründungsprojekte befinden sich in der Planungsphase.
Thomas Hann begleitet Projekte als Gründungsberater und aus dem Fachforum von Flux Economy entstehen weitere Gründungen und Beratungen bei Konzeption und Businessplanung. Lernangebote wie Onlinekurse und Seminare sind in der Vorbereitung, um einem breiten Publikum das Handwerkszeug für den Aufbau von regenerativen Genossenschaften an die Hand zu geben.
Die Arbeit an und mit regenerativen Genossenschaften hat gerade erst begonnen und das volle Spektrum der Anwendungs- und Erweiterungsmöglichkeiten wird erst in den kommenden Jahren ersichtlich werden. Wirtschaftssysteme entstanden ursprünglich aus dem Wunsch nach Dienlichkeit für die Menschen und ihre Lebensumgebung. Doch über die vergangenen Jahrzehnte hat diese Dienlichkeit stark nachgelassen.
Die Regenerative Genossenschaft ist ein zentrales Werkzeug, um Wirtschaft und Wertschöpfung wieder in die Dienlichkeit für alles Lebendige zurück zu führen.